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Zweites Interview mit Prof. Thomas Vollmer

METALLTECHNIK
31.08.2022
Zweites Interview mit Prof. Thomas Vollmer

Die Bundesarbeitsgemeinschaften für Berufsbildung in den Fachrichtungen Elektrotechnik, Informationstechnik, Metalltechnik und Fahrzeugtechnik e. V. feiern in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Der BAG-Vorsitzende Prof. Thomas Vollmer blickt in unserer Interviewreihe im Jubiläumsjahr auf die Veränderungen in der gewerblich-technischen Berufsausbildung der letzten 40 Jahre zurück und erklärt, was die BAG ihren Mitgliedern heute bietet. In diesem zweiten Teil der dreiteiligen Gesprächsreihe geht es um die Fachtagung 2022 und ihr topaktuelles Thema: Energievielfalt und Nachhaltigkeit in Unterricht und Ausbildung.

Professor Vollmer, Sie bereiten derzeit die BAG-Fachtagung, die am 16. und 17. September in Hamburg stattfinden wird, vor. Das Thema ist topaktuell – worum geht es?
Prof. Thomas Vollmer: Dieses Jahr haben wir unsere Tagung unter das Motto „All Days For Future! Energievielfalt in der gewerblich-technischen Berufsbildung“ gestellt. Diese Entscheidung haben wir auf Grundlage einer Diskussion technischer Entwicklungen in der Arbeitswelt, aktueller Probleme der Berufsbildung, gesellschaftlicher Veränderungen und innovativer Ansätze in der Berufsbildungspraxis getroffen.

Warum sind diese Themen wichtiger denn je?
Prof. Thomas Vollmer: Ich hoffe sehr, dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit dazu beitragen, eine Berufsausbildung für die jungen Menschen der „Fridays for Future-Generation“ attraktiver zu machen und damit dem Fachkräftemangel zu begegnen. Unsere Gesellschaft braucht die jungen Menschen in den Berufen, die die erforderliche Transformation weg von einer fossilen hin zu regenerativen Energieversorgung mitgestalten. Ohne gut ausgebildete Fachkräfte wird dies nicht gelingen. Der Ukrainekrieg hat die Dringlichkeit noch weiter vor Augen geführt.
Sie haben als Wissenschaftler an verschiedenen Projekten mitgearbeitet, bei denen Fragen der nachhaltigen Entwicklung im Zentrum der Forschung standen. Dazu zählte u.a. der Förderschwerpunkt „Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BBnE)“ des BMBF und des BiBB. Wie sah Ihre Arbeit aus?
Prof. Thomas Vollmer: Berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung (BBnE) ist ein zentrales Arbeitsgebiet von uns, ein Team mit mehreren Wissenschaftlern*innen unter Leitung meines Kollegen Werner Kühlmeier und mir. Neben anderen Projekten war die wissenschaftliche Begleitung von mehreren BIBB-Förderprogrammen, die sich über mehr als 10 Jahre erstreckt hat, von besonderer Bedeutung, nicht nur weil wir mit zahlreichen Modellversuchsakteuren, Ver-
treter*innen von Ausbildungsbetrieben, Berufsbildungszentren, Verbänden, NGOs und Wissenschaftler*innen über einen langen Zeitraum zusammenarbeiten und dabei wichtige Erkenntnisse generieren konnten. Die wissenschaftliche Begleitung umfasste einerseits die Evaluation der Förderprogramme, die Unterstützung der in diesem Programm geförderten Modellversuche, die Identifizierung von beruflichen Nachhaltigkeitskompetenzen und die Entwicklung eines Ansatzes für die didaktisch-methodische Gestaltung der BBnE. Mit den Programmverantwortlichen des BIBB haben wir zahlreiche Arbeitssitzungen gehabt, in denen wir unsere Ergebnisse diskutiert sowie die Probleme und Chancen einer strukturellen Verankerung der Leitidee der Nachhaltigkeit in der Berufsbildung erörtert haben.

Wie steht es aktuell um die Verankerung der nachhaltigen Entwicklung in der Beruflichen Bildung?
Prof. Thomas Vollmer: Diese Zusammenarbeit mit den Programmverantwortlichen des BIBB hat es uns ermöglicht, sowohl unsere Arbeitsergebnisse als auch unsere Überlegungen zur Verankerung der BBnE in der betrieblichen Ausbildung auf mehreren BIBB-Tagungen zu präsentieren und auch in der Ordnungsabteilung des BIBB vorzustellen, die für die Neuordnung von Berufen verantwortlich ist. Dort überwog zunächst Skepsis gegenüber einer verbindlichen Verankerung der Nachhaltigkeit in den Ausbildungsordnungen. Mit der Modernisierung der Standardberufsbildpositionen zum 1. August 2021 ist es aber schließlich gelungen, Nachhaltigkeit und Digitalisierung als verpflichtende Ausbildungsbestandteile für alle Berufe zu verankern. Als nächstes wird es darum gehen, wie die Standardberufsbildpositionen in der gewerblich-technischen Berufsbildung umgesetzt werden können. Die BAG wird sich mit ihren Fachtagungen und lernen&lehren-Heften an der Klärung der dabei aufkommenden Fragen beteiligen und Impulse geben.

Welche Programmpunkte sind dazu auf der kommenden Tagung vorgesehen?
Prof. Thomas Vollmer: Die Tagung beginnt mit Plenumsvorträgen von Experten aus dem Handwerk, einer Unternehmensberatung und dem BIBB sowie einem Symposium zur nachhaltigen Entwicklung von Berufsschulen, bevor in der zweiten Hälfte in parallelen Workshops Beiträge aus Bildungspraxis und -forschung folgen. Bei unserer diesjährigen Fachtagung wird u.a. Markus Bretschneider aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) einen Vortrag halten zum Thema „Modernisierte Standardberufsbildposition anerkannter Ausbildungsberufe – Kompetenzen im Umgang mit Nachhaltigkeit und Digitalisierung“.

Sie sprachen die humanitäre Katastrophe bereits an, die aktuell Europa erschüttert: der Krieg in der Ukraine. Dieser Krieg hat auch eine starke energiepolitische Dimension: Die Gas-, Öl- und Kohleimporte aus Russland als verlässliche Energiequelle sind in Frage gestellt.

Welche Implikationen hat das aus Ihrer Sicht für die Ausbildung in der Metall- und Elektrotechnik in den nächsten Jahren? 
Prof. Thomas Vollmer: Dieser schreckliche Krieg mit den verheerenden Folgen für die Menschen in der Ukraine, aber auch für die russischen Soldaten, die zum Töten in ein anderes Land geschickt werden, hat mich tief erschüttert. Die langfristigen Folgen, sowohl für die künftige Weltordnung als auch die globalen Wirtschaftsbeziehungen, sind aktuell noch nicht absehbar. Der Krieg mahnt in jedem Fall dazu, dass wir uns als Gesellschaft schnellstmöglich aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern befreien müssen. Dazu kommt, dass die Treibhausgasemissionen im letzten Jahr wieder gestiegen sind, und zwar um 4,5 %, wie das Umweltbundesamt am 15. März gemeldet hat. Wenn die Energiewende nicht deutlich beschleunigt wird, werden wir die vereinbarten Klimaschutzziele nicht erreichen.

Woran scheitert es – immer mit Blick auf die Ausbildung – Ihrer Meinung nach gerade?
Prof. Thomas Vollmer: Ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Strom-, Wärme- und Treibstoffgewinnung und -speicherung in Kombination mit einer digitalen Vernetzung zur Steuerung der Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung ist dringend notwendig, aber ohne kompetente Facharbeit nicht zu realisieren. Der aktuelle Fachkräftemangel steht dem entgegen. Es ist m.E. erforderlich, junge Menschen stärker für eine Berufsausbildung zu motivieren und ihnen die hier möglichen Karrierewege als Alternative zum Studium aufzuzeigen.

Welche Maßnahmen können Sie sich vorstellen?
Prof. Thomas Vollmer: Es ist dringend erforderlich, massiv Werbekampagnen zu starten und dabei herauszustellen, mit einer Berufsausbildung in der Elektro-, Informations-, Metall- oder Fahrzeugtechnik ist die Perspektive verbunden, etwas gesellschaftlich Sinnvolles zu tun, nämlich die Energiewende voranzutreiben und durch lokales Handeln daran mitzuwirken, global die Lebensgrundlagen zu sichern. Um dies zu verdeutlichen, haben wir unsere diesjährige Fachtagung unter das Thema „All Days For Future!“ gestellt.

Deshalb ist Ihnen die BBnE so wichtig?
Prof. Thomas Vollmer: Ja. In der Ausbildung müssen meines Erachtens die fachlichen Inhalte stärker mit den übergeordneten Zielen des Klimaschutzes als wesentliche Maßnahme der Zukunftssicherung verknüpft werden, damit den Jugendlichen der gesellschaftliche Sinn ihrer Arbeit verdeutlicht wird. Sich auf die technischen Aspekte der Energiewende zu fokussieren ist gut, aber allein nicht ausreichend. Die Auszubildenden müssen befähigt werden die Folgen ihrer Arbeit zu sehen und diese an Werthaltungen orientieren. Es ist wichtig, wenn sie zum Beispiel eine Anlage zur Nutzung regenerativer Energien installieren, dass sie folgendes erkennen: Meine Arbeit hat langfristig positive Auswirkungen, lokal, regional und auch global! Das ist sinnstiftend, fördert ein Verständnis für die individuelle Selbstwirksamkeit und ermöglicht die Reflexion des eigenen Tuns – eine wichtige Voraussetzung für die „Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung“, wie eins der Bildungsziele der Berufsschule lautet.
 

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