Im Gespräch mit Tobias Grunemann
Seit November 2021 gibt es an der Krankenpflegeschule am Evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg ein neues, spannendes Projekt: 15 junge Menschen aus El Salvador sind in die Lutherstadt gekommen, um sich zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann ausbilden zu lassen. Tobias Grunemann ist einer der Lehrenden, der die Auszubildenden begleitet. In unserer Reihe „Aus der (Lehr-)Praxis. Das Interview“ erzählt er, wie das Projekt entstanden ist und wie die angehenden Pflegefachpersonen die ersten Monate in Deutschland gemeistert haben.
Herr Grunemann, 15 junge Menschen aus El Salvador, die ihre Ausbildung in Deutschland machen – Wie kam es zu diesem spannenden Projekt?
Tobias Grunemann: Spannend war, ist und bleibt es wirklich! Das Projekt ist entstanden als Kooperation der Botschaft und Sprachschule in El Salvador und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Bildungsträger ist unsere Krankenpflegeschule der Johannesstift Diakonie gAG am Evangelischen Krankenhaus Paul-Gerhardt-Stift Wittenberg. Hinzu kommen die verschiedenen Wittenberger Kooperationspartner der Praxis wie das Augustinuswerk e.V., das Seniorenstift Georg Schleusner, das Senioren- und Pflegezentrum Am Lerchenberg sowie das Seniorenzentrum Gisander in Sandersdorf. Außerdem unser Krankenhaus Paul Gerhardt Stift selbst, natürlich.
Gibt es für die Auszubildenden auch außerhalb der Ausbildung Unterstützung?
Tobias Grunemann: Ja, die gibt es. Das Deutsche Erwachsenen-Bildungswerk (DEB) hat in seiner Außenstelle Wittenberg einen zusätzlichen Deutschkurs für die Auszubildenden organisiert und es wurde eine sogenannte „Kümmererstruktur“ entwickelt – eine Diplom Sozialpädagogin „kümmert“ sich um das Ankommen und Leben der Auszubildenden in Deutschland. Die Klasse bei uns in der Schule ist die bisher dritte Gruppe des Projekts aus El Salvador. Die erste Gruppe ist in Berlin stationiert, die zweite auch in Wittenberg, aber in einer anderen Schule. Die Auszubildenden stehen untereinander in Kontakt, besuchen sich an Wochenenden oder machen Städte-Trips - so unterstützen sich alle gegenseitig, auch außerhalb der Ausbildung.
Welche Herausforderungen haben Sie im Schulteam vor Beginn des Projekts gesehen?
Tobias Grunemann: Für uns als Schulteam war und ist diese Klasse natürlich eine Besonderheit und wir waren sehr gespannt: Wie wird die Kommunikation sein? Wie muss man die Unterrichtsgeschwindigkeit anpassen? Welche (Unterrichts-)Kultur wird uns begegnen? Wie werden diese jungen Menschen in Deutschland ankommen? Wie werden die Auszubildenden integriert?
Wie verlief dann der Start des Projekts?
Tobias Grunemann: Mitte Oktober 2021 kamen die 15 jungen Erwachsenen – 12 Frauen und 3 Männer im Alter von 20 bis 26 Jahren – bei uns in Wittenberg an. Für mich sehr aufregend war der Willkommenstag in unserer Krankenpflegeschule: Um das Eis zu brechen, gab ich den 15 El Salvadorianern spanische Sprüche über Glück, Träume und Hoffnungen – jede/r konnte sich nun einen Spruch aussuchen, diesen vorlesen auf Spanisch und Deutsch und sich damit kurz vorstellen. Das haben alle auf Anhieb sehr gut gemeistert. Als ihr Klassenmotto haben die Auszubildenden folgenden Spruch gewählt: „Recuerda que las nubes solo duran un momento y el sol toda la vida“ – „Denke immer daran, die Wolken sind nur für einen Moment da. Die Sonne das ganze Leben.“
Wie sieht Ihre Bilanz nach rund einem halben Jahr des Projekts aus?
Tobias Grunemann: In der Klasse herrscht von Anfang an ein harmonisches, kooperatives und produktives Klima. Sicher ist die Sprachbarriere noch vorhanden, trotz des bereits in El Salvador begonnenen Deutschkurses. Aber mit Onlineübersetzern und Wörterbüchern funktionieren die Kommunikation und das Lernen immer besser. Deutsch ist keine einfache Sprache – wenn es dann auch noch Pflege-Deutsch ist, kann es sehr kompliziert werden. Manche Pflegeempfänger sprechen kein Hochdeutsch wie in der Schule, sondern teilweise mit starkem Dialekt, aber die Auszubildenden lernen jeden Tag in der Praxis und in der Theorie dazu. Natürlich gilt der Landeslehrplan weiterhin – das heißt, dass wir alle Anteile der Ausbildung auch in dieser Klasse in der dafür vorgesehenen Zeit durchführen werden, egal wie komplex das Thema auch ist. Wir brauchen also in manchen Lernfeldeinheiten mehr Zeit für manche Themen. Das pendelt sich aber oft gut ein mit den anderen geplanten Stunden. Wovon wir sehr positiv überrascht waren, war die Eigenaktivität der Klasse in Wiederholung und Festigung von gerade Gelerntem – sei es direkt im Unterricht, als auch in wöchentlichen, durch die Auszubildenden selbstständig durchgeführten Lernkonferenzen. Sie sind auch sehr kreativ, erstellen tolle Plakate, ansprechende Factsheets und können gut am PC arbeiten.
Wie geht es für die Auszubildenden jetzt weiter?
Tobias Grunemann: Alle 15 haben das Probehalbjahr im April bestanden – das hat uns sehr gefreut. Dann starteten die ersten Pflichteinsätze außerhalb der eigenen Einrichtung. Es ist also eine aufregende Zeit des Wechsels nach den ersten 6 Monaten der Ausbildung. Auch dabei werden die Auszubildenden von unserer „Kümmererstruktur“ begleitet, zum Beispiel in der ersten Kontaktaufnahme oder dem Besuch vor Ort zum Erstgespräch. Die weiteren Semester sind bereits geplant und wir wünschen den Auszubildenden weiterhin viel Erfolg und Energie für die anstehenden, immer anspruchsvoller werdenden Unterrichtsinhalte.
Vielen herzlichen Dank für das Interview!
Tobias Grunemann (32) hat im Anschluss an seine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger zunächst als Schulassistent in der Krankenpflegeschule Wittenberg gearbeitet. Danach war er drei Jahre als Pfleger im Städtischen Klinikum Dresden auf Überwachungs- und Aufnahmestationen tätig und arbeitete außerdem als Honorardozent an Schulen in beiden Städten. Zurzeit lehrt er wieder in Wittenberg und studiert seit 2018 berufsbegleitend Medizinpädagogik. In der Krankenpflegeschule Wittenberg werden rund 120 Schülerinnen und Schüler in der generalistischen Pflege ausgebildet. Im November 2021 starteten auch in der Krankenpflegeschule 15 junge Menschen aus El Salvador ihre Ausbildung.
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