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Drittes Interview mit Prof. Thomas Vollmer

METALLTECHNIK
29.09.2022
Drittes Interview mit Prof. Thomas Vollmer

40 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaften (BAG) ElektroMetall – in der Interviewreihe zum Jubiläumsjahr spricht der BAG-Vorsitzende Professor Thomas Vollmer über die Entwicklung und Perspektiven der Berufsbildung in den Fachrichtungen Elektrotechnik, Informationstechnik, Metalltechnik und Fahrzeugtechnik. In diesem dritten Teil geht es um die Lehrenden: Wie haben sich das Studium und die Lehrpraxis in den letzten 40 Jahren verändert, was hat die Corona-Pandemie für die Lehrenden bedeutet und vor welchen Herausforderungen stehen sie jetzt?

Professor Vollmer, Sie selbst sind nach einer Ausbildung und Berufstätigkeit als Radio- und Fernsehtechniker sowie Ingenieur- und Lehramtsstudium 1986 in den Lehrberuf gewechselt, im Jahr 2000 wurden Sie Professor an der Universität Hamburg und arbeiten mit dem Schwerpunkt „Didaktik der beruflichen Fachrichtungen Metalltechnik/Elektrotechnik“. Wenn Sie als Lehrender auf die letzten Jahrzehnte zurückblicken: Was war die spannendste und weitreichendste Entwicklung in der Berufsbildung? 
Prof. Thomas Vollmer: Zu den spannendsten und weitreichendsten Entwicklungen in der beruflichen Ausbildung zählt aus meiner Sicht die Abkehr von der ingenieurwissenschaftlich geprägten Fachsystematik der Rahmenlehrpläne und die Einführung der Lernfelder – ein echter Paradigmenwechsel. Am Beginn der Ausbildung stehen seitdem nicht mehr die abstrakten technisch-physikalischen Grundlagen, meist in mathematisierter Form, sondern berufliche Arbeitsaufgaben, von denen aus zur vertieften Berufstheorie hingeführt wird. Dies war lerntheoretisch ein Meilenstein, statt einer Dominanz des Frontalunterrichts prägt nun Methodenvielfalt den Berufsschulunterricht, projektförmiges Lernen ist keine Ausnahme mehr. Mit den Lernfeldern wurden zudem Voraussetzungen für eine bessere Kooperation der Partner im dualen Ausbildungssystem geschaffen. Heute ist dies selbstverständlich, es war aber ein langer Weg, bis dies erreicht war. Diese Entwicklung wird in der aktuell erscheinenden Sonderausgabe unserer Zeitschrift lernen&lehren zum 40-jährigen Jubiläum der BAG nachgezeichnet.

Und in der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden? Welche Wendepunkte gab es da?
Prof. Thomas Vollmer: Die Einführung des Lernfeldkonzeptes hat sich zwangsläufig auch auf die Aus- und Weiterbildung der Lehrenden ausgewirkt. Im Zusammenhang mit dem Lernfeldkonzept ist das Bildungsziel der Berufsschule, die Jugendlichen „zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung zu befähigen“ auch im Lehramtsstudium in den didaktischen Fokus gerückt. Es geht darum, zu ermitteln, welche beruflichen Arbeitsaufgaben besonders lernhaltig sind, inwiefern sie zur Mitgestaltung beitragen und mit welchen Methoden sich die Auszubildenden möglichst selbständig die entsprechenden Fähigkeiten aneignen können. Der gravierendste Wendepunkt in der Lehrerbildung war m. E. aber die Einführung des Bachelor-/Mastersystems. Bundesweit hat sich inzwischen eine bunte Landschaft von BA-/MA-Lehramtsstudiengängen entwickelt, die einer gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen wenig dienlich ist und die Durchlässigkeit von einem Ingenieurstudium eher erschwert als erleichtert hat – das genaue Gegenteil dessen, was mit der Einführung des Bachelor-/Mastersystems politisch beabsichtigt war.

Welche gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen haben auch die Berufsschulen erfasst und die Lehre verändert? 
Prof. Thomas Vollmer: Inklusion und Individualisierung sowie die Integration von Flüchtlingen und die Durchlässigkeit im Bildungssystem sind heute wichtige Themen auch für die Berufsbildung. Die Digitalisierung der Arbeitswelt und die strukturelle Verankerung der Leitidee der Nachhaltigkeit in der Berufsbildung sind Herausforderungen, die uns in nächster Zeit sehr beschäftigen werden – und hoffentlich die jungen Menschen der „Fridays for Future-Generation“ wieder an eine Ausbildung in den technisch geprägten Berufen heranführen.

Mit der Corona-Pandemie rückte der Stand der Digitalisierung an den Schulen in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie sehen Sie diesen erzwungenen Umbruch im Rückblick? 
Prof. Thomas Vollmer: Mein Eindruck, den ich aufgrund der Berichte von Kolleg*innen aus den beruflichen Schulen gewonnen habe, ist, dass das erste Schulhalbjahr unter Corona-Bedingungen eine große Herausforderung war und vielfältige Probleme bereitet hat. Die Lehr-/LernProzesse mussten innerhalb kürzester Zeit umgestellt werden. Dies erforderte, dass sich alle Beteiligten mit neuen Programmen auseinandersetzen mussten, häufig war die Verbesserung bzw. Anpassung der technischen Infrastruktur erforderlich. Dies war eine große Belastung für alle.

Und jetzt, nach mehr als zwei Jahren Pandemie?
Prof. Thomas Vollmer: Es scheint mir, dass die meisten beruflichen Schulen mittlerweile Routinen entwickelt haben, diese Herausforderungen relativ gut zu bewältigen. Lehrkräfte gewerblich-technischer Fachrichtungen haben vermutlich einen Vorteil, weil sie technikaffin sind und über Fachkenntnisse verfügen, die es Ihnen ermöglichen, den Herausforderungen des digitalen Lehrens leichter zu begegnen als Lehrkräfte allgemeinbildender Unterrichtsfächer. Zudem sind viele dieser beruflichen Schulen technisch gut ausgestattet, insbesondere in den größeren Städten. Es gibt aber sicherlich auch Schulen, die hier Defizite hatten, und sei es, dass sie einen schlechten Zugang zum schnellen Internet haben.

Hat die Pandemie auch neue Chancen für die Berufsbildung eröffnet?
Prof. Thomas Vollmer: Die Erfahrungen mit dem hybriden Lehren und Lernen – also die Kombination von Digital- und Präsenzunterricht – der letzten Jahre haben sicherlich auch Chancen eröffnet. Die Jugendlichen können sich dadurch bspw. Kenntnisse und Fähigkeiten orts- und zeitungebunden aneignen und sie haben durch die Nutzung entsprechender Programme wie ZOOM oder TEAMS die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen und Lerngruppen zu bilden. Die Digitalisierung kann auch die Zusammenarbeit betrieblicher Ausbilder*innen und Lehrkräfte der Berufsschule erleichtern, um gemeinsam abgestimmte Lehr-/Lern-Projekte zu planen und durchzu-
führen, also die Lernortkooperation voranzutreiben.

Zum Schluss noch ein Ausblick: Wie wird die Digitalisierung die berufliche Bildung in den kommenden Jahren weiter verändern?
Prof. Thomas Vollmer: Ich halte es für ziemlich sicher, dass die Digitalisierung nahezu alle Bereiche der Arbeitswelt und auch des privaten Lebens durchdringen wird. Wie schnell und in welchem Ausmaß dies geschehen wird, ist nicht absehbar. Experten, auch aus der BAG, sehen diesbezüglich noch keinen unmittelbaren Reformbedarf für die Duale Berufsausbildung, die Lehrpläne sind so offen gestaltet, dass sie den erkennbaren Entwicklungen noch genügen. In der Industrie scheint sich jedoch eine Tendenz einer Anforderungsintegration durch die Digitalisierung abzuzeichnen, die neue Berufsbilder erforderlich machen 
können. Wie schnell dies geschieht und inwieweit dies bspw. die Berufe im Handwerk betrifft, werden die nächste Jahre zeigen. Allerdings ist es schon jetzt notwendig, bei der konkreten Planung von Ausbildungs- und Unterrichtseinheiten die sich beschleunigenden technischen Entwicklungen entsprechend zu berücksichtigen. Die Digitalisierung wird das Lehren und Lernen selbst auch verändern. Nachdem in der Aus- und Weiterbildung coronabedingt bereits Erfahrungen mit digitalisiertem Lehren und Lernen gesammelt und deren Potentiale erkannt wurden, ist diesbezüglich eine weitere Nutzung zu erwarten.

Prof. Thomas Vollmer (68) ist Vorsitzender der BAG. Der pensionierte Professor für Berufspädagogik blickt auf ein vielseitiges Berufsleben zurück, das von Anfang an eng mit der Bundesarbeitsgemeinschaft und ihren Themen verbunden war. Nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker und zum Radio- und Fernsehtechniker war er in diesem Berufsfeld tätig, bevor er sich für eine weitere schulische Karriere und daran anschließend ein Ingenieurstudium und ein Studium der Berufspädagogik mit den Fächern Elektrotechnik und Gesellschaftslehre entschied. Seine auf das Studium folgende wissenschaftliche Tätigkeit führte ihn im Sommer 2000 zur Universitätsprofessur für „Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Berufspädagogik, Schwerpunkt: Didaktik der beruflichen Fachrichtungen Metalltechnik / Elektrotechnik“ an der Universität Hamburg, die er bis zu seiner Pensionierung 2017 innehatte.

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